Sonnenschutzmittel sind unverzichtbare Helfer im Kampf gegen die schädlichen Auswirkungen der UV-Strahlung. Zwei chemische UV-Filter, die in vielen Sonnencremes zum Einsatz kommen, stehen jedoch zunehmend im Fokus wissenschaftlicher Diskussionen: Octocrylene (auch Octocrylen genannt) und Benzophenon-3 (auch bekannt als Oxybenzon). Diese Substanzen schützen unsere Haut vor Sonnenbrand und langfristigen Schäden, bringen aber möglicherweise auch gesundheitliche Risiken mit sich.
Um die Tragweite dieser Diskussion zu verstehen, müssen wir zunächst die Grundlagen des Sonnenschutzes betrachten. UV-Filter arbeiten nach zwei Prinzipien: Physikalische Filter wie Zinkoxid reflektieren das Licht wie kleine Spiegel, während chemische Filter wie Octocrylene und Benzophenon-3 die UV-Strahlung absorbieren und in ungefährliche Wärmeenergie umwandeln. Dieser Prozess findet direkt in der oberen Hautschicht statt.
Was sind Octocrylene und Benzophenon-3?
Octocrylene: Der vielseitige UV-Filter
Octocrylene ist ein chemischer UV-Filter, der hauptsächlich UVB-Strahlung (280-320 Nanometer) und einen Teil der UVA-Strahlung (320-400 Nanometer) absorbiert. Die chemische Bezeichnung lautet 2-Ethylhexyl-2-cyano-3,3-diphenylacrylat. Dieser Zungenbrecher beschreibt die molekulare Struktur der Substanz, die für ihre Stabilität und Wirksamkeit verantwortlich ist.
Octocrylene wurde entwickelt, um andere UV-Filter zu stabilisieren und deren Abbau durch Sonneneinstrahlung zu verlangsamen. Diese Eigenschaft macht es zu einem beliebten Bestandteil moderner Sonnenschutzmittel. Der Filter ist in der Europäischen Union bis zu einer Konzentration von zehn Prozent zugelassen.
Benzophenon-3 (Oxybenzon): Der umstrittene Breitbandfilter
Benzophenon-3, chemisch korrekt als 2-Hydroxy-4-methoxybenzophenon bezeichnet, ist ein Breitband-UV-Filter. Das bedeutet, er schützt sowohl vor UVA- als auch vor UVB-Strahlung. Diese Vielseitigkeit machte ihn jahrzehntelang zu einem der am häufigsten verwendeten chemischen Sonnenschutzfilter weltweit.
Die Substanz wird nicht nur in Sonnencremes verwendet, sondern auch in Kosmetika, Shampoos und sogar in Kunststoffen als Stabilisator gegen UV-bedingte Alterung. In der EU ist Benzophenon-3 derzeit noch bis zu einer Konzentration von zehn Prozent in Kosmetika erlaubt, allerdings wird diese Regelung derzeit überprüft.
Wirkungsweise und Funktionen
Beide Substanzen funktionieren nach dem Prinzip der Photoabsorption. Wenn UV-Strahlung auf die Moleküle trifft, nehmen diese die Energie auf und gehen in einen angeregten Zustand über. Anschließend geben sie diese Energie als harmlose Wärme wieder ab und kehren in ihren ursprünglichen Zustand zurück. Dieser Prozess wiederholt sich millionenfach und schützt so die darunter liegenden Hautzellen vor DNA-Schäden.
Die Wirksamkeit von UV-Filtern wird durch den Lichtschutzfaktor (LSF) gemessen. Ein LSF 30 bedeutet theoretisch, dass man 30-mal länger in der Sonne bleiben kann, ohne einen Sonnenbrand zu bekommen. Beide Filter tragen erheblich zu hohen Lichtschutzfaktoren bei.
Problematische Eigenschaften und Nebenwirkungen
Das Octocrylene-Benzophenon-Problem
Eine der beunruhigendsten Entdeckungen der letzten Jahre betrifft die Umwandlung von Octocrylene in Benzophenon durch Alterungsprozesse. Benzophenon ist nicht zu verwechseln mit Benzophenon-3, sondern eine andere chemische Verbindung. Studien zeigen, dass sich in älteren Sonnenschutzmitteln mit Octocrylene erhebliche Mengen an Benzophenon bilden können.
Benzophenon wurde von der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) als “möglicherweise krebserregend für den Menschen” (Gruppe 2B) eingestuft. Diese Einstufung basiert auf Tierstudien, in denen die Substanz Lebertumore verursachte. Die praktische Bedeutung für den Menschen ist noch nicht vollständig geklärt, aber die Besorgnis ist berechtigt.
Hormondisruptive Eigenschaften
Beide Substanzen stehen im Verdacht, endokrine Disruptoren zu sein. Diese Begrifflichkeit beschreibt Chemikalien, die in das körpereigene Hormonsystem eingreifen können. Sie können Hormone nachahmen, deren Wirkung blockieren oder die Hormonproduktion beeinflussen.
Besonders Benzophenon-3 ist in diesem Bereich gut untersucht. Studien zeigen, dass die Substanz östrogene Eigenschaften aufweist, also ähnlich wie das weibliche Geschlechtshormon Östrogen wirken kann. Bei Männern könnte dies zu einer Verringerung der Testosteronproduktion führen. Die hormonellen Effekte sind besonders bedenklich, da sie bereits bei sehr geringen Konzentrationen auftreten können.
Hautaufnahme und Systemische Verteilung
Ein wichtiger Aspekt ist die perkutane Absorption – die Aufnahme durch die Haut. Während physikalische UV-Filter hauptsächlich auf der Hautoberfläche bleiben, dringen chemische Filter in die Haut ein. Benzophenon-3 zeigt dabei eine besonders hohe Aufnahmerate.
Eine bedeutsame amerikanische Studie aus dem Jahr 2008 untersuchte 2.517 Urinproben und fand in 96,8 Prozent der Proben nachweisbare Mengen von Benzophenon-3. Dies demonstriert eindrucksvoll, wie effektiv diese Substanz über die Haut aufgenommen und im Körper verteilt wird.
Allergische Reaktionen und Photosensibilisierung
Beide UV-Filter können Kontaktallergien und Photoallergien auslösen. Eine Kontaktallergie entsteht durch direkten Hautkontakt mit der Substanz, während eine Photoallergie erst durch die Kombination von Substanz und Sonnenlicht ausgelöst wird.
Bei einer Photoallergie verändert das UV-Licht die chemische Struktur des Filters so, dass das Immunsystem ihn als Fremdstoff erkennt und eine allergische Reaktion auslöst. Dies kann zu Ekzemen, Rötungen und Juckreiz führen – ironischerweise genau dort, wo der Sonnenschutz aufgetragen wurde.
Umweltauswirkungen
Die Auswirkungen auf die Meeresumwelt sind ein weiterer kritischer Aspekt. Benzophenon-3 steht im Verdacht, zur Korallenbleiche beizutragen. Laborstudien zeigen, dass die Substanz das Erbgut von Korallenpolypen schädigen und deren Fortpflanzung beeinträchtigen kann.
Verschiedene Meeresregionen, darunter Hawaii und Palau, haben bereits Gesetze erlassen, die den Verkauf von Sonnencremes mit bestimmten chemischen UV-Filtern verbieten. Diese Maßnahmen basieren auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, die zeigen, dass bereits geringe Konzentrationen dieser Substanzen in Meeresgewässern ökologische Schäden verursachen können.
Aktuelle Regulierung und Zulassungsverfahren
Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) und das Scientific Committee on Consumer Safety (SCCS) überprüfen kontinuierlich die Sicherheit kosmetischer Inhaltsstoffe. Für Benzophenon-3 läuft derzeit eine umfassende Neubewertung der Sicherheitsdaten.
Benzophenon selbst (nicht Benzophenon-3) wird in der EU bereits schrittweise aus Kosmetika verbannt. Ab Ende 2024 dürfen keine neuen Produkte mehr mit diesem Inhaltsstoff auf den Markt gebracht werden. Für Octocrylene gibt es bisher keine konkreten Verbotsankündigungen, aber die Diskussionen über eine Neubewertung werden intensiver.
Gesundheitliche Bewertung durch Behörden
Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in Deutschland hat beide Substanzen bewertet. Für den normalen Gebrauch von Sonnenschutzmitteln sieht das BfR derzeit keine akute Gesundheitsgefährdung. Allerdings betont die Behörde, dass weitere Forschung erforderlich ist, insbesondere zur Langzeitwirkung und zu den hormonellen Effekten.
Die US-amerikanische FDA (Food and Drug Administration) hat 2019 eine Studie veröffentlicht, die zeigt, dass verschiedene chemische UV-Filter, einschließlich Benzophenon-3, nach einmaliger Anwendung in messbaren Konzentrationen im Blutkreislauf nachweisbar sind. Dies führte zu erhöhten Sicherheitsanforderungen für die Hersteller.
Besonders gefährdete Personengruppen
Bestimmte Personengruppen sollten besondere Vorsicht walten lassen:
Schwangere und Stillende: Die hormonellen Eigenschaften beider Substanzen könnten die Entwicklung des ungeborenen Kindes beeinflussen. Einige Studien zeigen einen Zusammenhang zwischen mütterlicher Benzophenon-3-Exposition und Geburtsgewicht.
Kinder: Die unreife Hautbarriere von Kindern könnte eine erhöhte Aufnahme der Substanzen ermöglichen. Zudem reagiert das sich entwickelnde Hormonsystem möglicherweise empfindlicher auf endokrine Disruptoren.
Personen mit Allergien: Menschen mit bekannten Kontaktallergien oder empfindlicher Haut sollten diese Inhaltsstoffe meiden, da das Risiko für allergische Reaktionen erhöht ist.
Alternativen und Empfehlungen
Mineralische UV-Filter wie Zinkoxid und Titandioxid gelten als sicherere Alternative. Diese physikalischen Filter reflektieren das Licht und dringen nicht in die Haut ein. Moderne Formulierungen verwenden Nanopartikel, die den früher typischen weißen Film auf der Haut vermeiden.
Neuere chemische UV-Filter wie Bemotrizinol (Tinosorb S) oder Bisoctrizole (Tinosorb M) zeigen in Studien ein günstigeres Sicherheitsprofil. Sie sind photostabiler und zeigen weniger hormonelle Aktivität.
Kombination verschiedener Schutzmaßnahmen: Sonnenschutz sollte nie allein auf Cremes basieren. Kleidung, Sonnenhüte und das Meiden der intensivsten Mittagssonne sind ebenso wichtig.
Praktische Empfehlungen für Verbraucher
Beim Kauf von Sonnenschutzmitteln sollten Verbraucher die INCI-Liste (International Nomenclature of Cosmetic Ingredients) auf der Verpackung beachten. Octocrylene ist dort als “Octocrylene” aufgeführt, Benzophenon-3 als “Benzophenone-3” oder “Oxybenzone”.
Alte Sonnenschutzmittel sollten regelmäßig ersetzt werden. Besonders Produkte mit Octocrylene können mit der Zeit problematisch werden, da sich Benzophenon bilden kann. Eine Faustregel besagt, dass Sonnenschutzmittel nicht länger als ein Jahr verwendet werden sollten.
Bei empfindlicher Haut oder bekannten Allergien sind mineralische Sonnenschutzmittel die bessere Wahl. Diese sind mittlerweile in vielen ansprechenden Formulierungen verfügbar, die sich gut verteilen lassen und keinen starken Weißeffekt hinterlassen.
Zukunftsperspektiven und Forschungsbedarf
Die Forschung zu UV-Filtern entwickelt sich kontinuierlich weiter. Neue Testsysteme ermöglichen es, hormonelle Wirkungen sensitiver zu erkennen. Gleichzeitig arbeiten Chemiker an der Entwicklung noch sichererer UV-Filter.
Langzeitstudien sind besonders wichtig, da die meisten bisherigen Untersuchungen Kurzzeiteffekte betrachten. Die Auswirkungen einer jahrzehntelangen Exposition sind noch nicht vollständig verstanden.
Individuelle Risikobewertungen könnten in Zukunft helfen, personalisierte Empfehlungen zu geben. Genetische Faktoren beeinflussen sowohl die Aufnahme von Substanzen als auch die Empfindlichkeit gegenüber hormonellen Störungen.
Fazit
Octocrylene und Benzophenon-3 sind effektive UV-Filter, die hunderttausende Menschen vor Sonnenbrand und Hautkrebs schützen. Gleichzeitig zeigen wissenschaftliche Untersuchungen potenzielle Gesundheitsrisiken auf, die ernst genommen werden müssen.
Wer in warmen Gewässern schwimmt, sollte zum Schutz der Korallen auf Sonnencremes mit Benzophenon-3 verzichten.
Die Abwägung zwischen dem bewiesenen Nutzen des Sonnenschutzes und den möglichen Risiken dieser spezifischen Inhaltsstoffe ist komplex. Während die unmittelbaren Vorteile des UV-Schutzes unbestritten sind, entwickelt sich unser Verständnis für die langfristigen Auswirkungen chemischer Filter kontinuierlich weiter.
Verbraucher sollten informierte Entscheidungen treffen können. Dies bedeutet, sowohl die Risiken ungeschützter Sonnenexposition als auch die potenziellen Probleme bestimmter UV-Filter zu verstehen. Glücklicherweise stehen heute verschiedene Alternativen zur Verfügung, die einen effektiven Sonnenschutz ohne die diskutierten Risiken bieten können.