Haarausfall: Ursachen, Therapien und Vorbeugung
Was ist Haarausfall und wann wird er zum Problem?
Haarausfall ist ein natürlicher Prozess, den jeder Mensch erlebt. Täglich verlieren wir etwa 50 bis 100 Haare – das ist völlig normal und Teil des natürlichen Haarzyklus. Problematisch wird es erst, wenn deutlich mehr Haare ausfallen oder das Haar nicht mehr nachwächst. In der Medizin sprechen wir von Alopezie (aus dem Griechischen “alopex” = Fuchs, da Füchse ihr Fell verlieren), wenn der Haarausfall das normale Maß überschreitet.
Um Haarausfall richtig zu verstehen, müssen wir zunächst betrachten, wie Haare normalerweise wachsen und warum sie ausfallen.
Der natürliche Haarzyklus: Wie Haare wachsen und vergehen
Jedes Haar durchläuft einen dreiphasigen Zyklus, der sich während unseres Lebens etwa 25-30 Mal wiederholt:
Die Anagenphase (Wachstumsphase) dauert 2-6 Jahre und macht etwa 85% aller Haare aus. In dieser Phase teilen sich die Zellen in der Haarwurzel aktiv und das Haar wächst etwa einen Zentimeter pro Monat. Stellen Sie sich vor, die Haarwurzel ist wie eine kleine Fabrik, die kontinuierlich neues Haarmaterial produziert.
Die Katagenphase (Übergangsphase) ist eine kurze, etwa 2-3 Wochen dauernde Phase, in der das Haarwachstum stoppt. Die “Fabrik” stellt ihre Produktion ein, und das Haar trennt sich langsam von der Wurzel. Nur etwa 1% aller Haare befinden sich in dieser Phase.
Die Telogenphase (Ruhephase) dauert etwa 3 Monate. Das Haar ist nun vollständig von der Wurzel getrennt und wird durch normales Kämmen oder Waschen ausgeschieden. Etwa 10-15% aller Haare befinden sich in dieser Phase. Gleichzeitig bereitet sich der Haarfollikel (das ist die Struktur, die das Haar umgibt) darauf vor, ein neues Haar zu produzieren.
Formen des Haarausfalls: Verschiedene Arten, verschiedene Ursachen
Androgenetische Alopezie (erblich bedingter Haarausfall)
Die häufigste Form des Haarausfalls betrifft etwa 95% aller Männer und 40% der Frauen über 50 Jahren. Der Name “androgenetisch” setzt sich aus “Androgen” (männliche Hormone) und “genetisch” (erblich bedingt) zusammen.
Bei dieser Form reagieren die Haarfollikel überempfindlich auf Dihydrotestosteron (DHT), ein Abbauprodukt des männlichen Hormons Testosteron. DHT entsteht durch das Enzym 5-Alpha-Reduktase, das wie ein Umwandler arbeitet und Testosteron in die wirksamere Form DHT verwandelt. Stellen Sie sich vor, DHT ist wie ein Signal, das den Haarfollikeln sagt: “Produziert kleinere und schwächere Haare!” Mit der Zeit werden die Haare immer dünner und kürzer, bis der Follikel schließlich ganz aufhört zu arbeiten.
Bei Männern zeigt sich dieser Haarausfall typischerweise durch Geheimratsecken und eine Glatze am Hinterkopf. Bei Frauen dünnt das Haar meist gleichmäßig am Oberkopf aus, während der Haaransatz meist erhalten bleibt.
Alopecia areata (kreisrunder Haarausfall)
Diese Form des Haarausfalls ist eine Autoimmunerkrankung. Das bedeutet, das körpereigene Immunsystem greift fälschlicherweise die eigenen Haarfollikel an, als wären sie Eindringlinge. Es entstehen kreisrunde, völlig kahle Stellen, meist am Kopf, aber auch an anderen behaarten Körperstellen.
Die genauen Ursachen sind noch nicht vollständig verstanden, aber Stress, Infekte oder andere Autoimmunerkrankungen können als Auslöser wirken. Etwa 1-2% der Bevölkerung sind betroffen, und die Erkrankung kann in jedem Alter auftreten.
Diffuser Haarausfall (Telogen-Effluvium)
Beim diffusen Haarausfall dünnt das Haar gleichmäßig über den gesamten Kopf aus. Die Ursache liegt darin, dass zu viele Haare gleichzeitig in die Telogenphase (Ruhephase) wechseln. Es ist, als würde die normale Schichtarbeit in der “Haarfabrik” durcheinander geraten.
Mögliche Auslöser sind Stress, Hormonschwankungen (besonders nach der Schwangerschaft oder in den Wechseljahren), Mangelernährung, schwere Erkrankungen oder bestimmte Medikamente. Die gute Nachricht: Wenn die Ursache behoben wird, wachsen die Haare meist wieder nach.
Vernarbende Alopezie
Bei dieser seltenen Form wird das Haarfollikel dauerhaft zerstört und durch Narbengewebe ersetzt. Die Haare können an diesen Stellen nie wieder nachwachsen. Ursachen können Entzündungen, Infektionen oder Hauterkrankungen wie Lichen planopilaris sein.
Diagnose: Wie Ärzte Haarausfall untersuchen
Die Diagnose beginnt immer mit einem ausführlichen Gespräch über die Krankengeschichte. Der Arzt fragt nach dem Beginn des Haarausfalls, familiären Vorbelastungen, Stress, Medikamenten und Lebensgewohnheiten.
Der Trichogramm ist eine wichtige Untersuchung, bei der etwa 50-100 Haare ausgezupft und unter dem Mikroskop betrachtet werden. So kann der Arzt feststellen, in welcher Phase sich die Haare befinden und ob der Haarausfall krankhaft ist.
Der Pull-Test ist eine einfache Methode: Der Arzt zieht vorsichtig an einer Haarsträhne. Kommen mehr als 6 Haare mit, deutet das auf verstärkten Haarausfall hin.
Laboruntersuchungen können Aufschluss über Hormonwerte, Eisenmangel, Schilddrüsenfunktion oder Entzündungswerte geben. Besonders wichtig sind Ferritin (Eisenspeicher), Schilddrüsenhormone und bei Frauen auch Androgene.
Therapieoptionen: Medikamentöse Behandlung
Minoxidil: Der Durchblutungsverbesserer
Minoxidil war ursprünglich ein Blutdruckmedikament, bis Forscher entdeckten, dass es als Nebenwirkung Haarwachstum fördert. Es wird als Lösung oder Schaum direkt auf die Kopfhaut aufgetragen und muss täglich angewendet werden.
Die Wirkweise ist noch nicht vollständig verstanden, aber Minoxidil verbessert die Durchblutung der Haarfollikel und verlängert die Wachstumsphase der Haare. Es ist wie ein Dünger für die Haarwurzeln. Minoxidil ist sowohl für Männer als auch für Frauen zugelassen und rezeptfrei erhältlich.
Die Wirkung setzt nach etwa 3-4 Monaten ein, und die Behandlung muss dauerhaft fortgesetzt werden. Wird sie abgebrochen, geht das gewonnene Haar wieder verloren.
Finasterid: Der Hormonstabilisator
Finasterid ist ein 5-Alpha-Reduktase-Hemmer, das heißt, es blockiert das Enzym, das Testosteron in DHT umwandelt. Dadurch sinkt der DHT-Spiegel in der Kopfhaut um etwa 70%.
Das Medikament ist nur für Männer zugelassen und wird als Tablette eingenommen. Es kann das Fortschreiten des Haarausfalls stoppen und bei etwa 65% der Männer zu einer Verdichtung der Haare führen.
Mögliche Nebenwirkungen betreffen die Sexualfunktion, weshalb eine sorgfältige Aufklärung wichtig ist. Bei etwa 1-2% der Männer können Erektionsstörungen oder vermindertes sexuelles Verlangen auftreten.
Dutasterid: Der stärkere Hormonblocker
Dutasterid wirkt ähnlich wie Finasterid, blockiert aber beide Varianten des 5-Alpha-Reduktase-Enzyms. Dadurch wird der DHT-Spiegel noch stärker gesenkt (um etwa 90%). Es ist in Deutschland nicht speziell für Haarausfall zugelassen, wird aber manchmal “off-label” verwendet.
Hormonelle Therapien für Frauen
Bei Frauen können Antiandrogene wie Cyproteronacetat oder Spironolacton helfen. Diese Medikamente blockieren die Wirkung männlicher Hormone an den Haarfollikeln. Sie werden oft in Kombination mit der Antibabypille verwendet.
Neue und experimentelle Therapien
Plättchenreiches Plasma (PRP)
Bei der PRP-Therapie wird dem Patienten Blut entnommen und zentrifugiert, um die Thrombozyten (Blutplättchen) zu konzentrieren. Diese enthalten Wachstumsfaktoren, die das Haarwachstum stimulieren können. Das konzentrierte Plasma wird dann in die Kopfhaut injiziert.
Die Behandlung basiert auf der Idee, dass Wachstumsfaktoren wie kleine Botschaften sind, die den Haarfollikeln sagen: “Wacht auf und produziert wieder Haare!” Die Studienlage ist noch nicht eindeutig, aber erste Ergebnisse sind vielversprechend.
Mikroneedling
Beim Mikroneedling werden mit einer speziellen Walze oder einem Gerät winzig kleine Verletzungen in die Kopfhaut gebracht. Diese Mikrotraumen sollen die Durchblutung fördern und die Aufnahme von Wirkstoffen wie Minoxidil verbessern.
Haartransplantation: Die chirurgische Lösung
Bei einer Haartransplantation werden Haare aus dem Hinterkopfbereich (der “Spenderregion”) entnommen und in die kahlen Bereiche verpflanzt. Die Haare am Hinterkopf sind genetisch nicht empfindlich gegenüber DHT und behalten diese Eigenschaft auch nach der Transplantation.
FUE (Follicular Unit Extraction) ist die modernste Methode, bei der einzelne Haarfollikel mit einem speziellen Instrument entnommen werden. FUT (Follicular Unit Transplantation) ist eine ältere Methode, bei der ein Hautstreifen entnommen wird.
Nahrungsergänzungsmittel und Mikronährstoffe
Wenn der Körper nicht genügend Mikronährstoffe zur Verfügung hat, spart er zuerst an den Prozessen, die nicht lebensnotwengdig sind. Deshalb sind stumpfe Haare oder Haarausfall immer das erste Zeichen eines Mangels an Vitaminen oder Spurenelementen. Nahrungsergänzungsmittel sind daher das erste Mittel der Wahl. Sie haben keine Nebenwirkungen und unterstützen zudem auch Energie, Immunsystem und allgemeines Wohlbefinden.
Eisen: Der Sauerstofftransporter
Eisenmangel ist eine der häufigsten Ursachen für diffusen Haarausfall, besonders bei Frauen. Bei rund 75% der Frauen zwischen 15 und 50 Jahren liegt Eisenmangel vor (Nationale Verzehrsstudie 2008). Eisen ist wichtig für die Zellteilung und den Sauerstofftransport. Ohne ausreichend Eisen können die Haarfollikel nicht optimal arbeiten.
Der Ferritin-Wert sollte idealerweise über 70 ng/ml liegen. Bei nachgewiesenem Eisenmangel können Eisenpräparate helfen, aber die Einnahme sollte ärztlich überwacht werden, da zu viel Eisen schädlich sein kann.
B-Vitamine: Die Zellteilungs-Helfer
Besonders Biotin (Vitamin B7) ist wichtig für die Haargesundheit. Es ist ein Cofaktor für Enzyme, die bei der Zellteilung helfen. Ein echter Biotin-Mangel ist selten, aber bei nachgewiesenem Mangel kann eine Supplementierung hilfreich sein.
Folsäure (Vitamin B9) ist ebenfalls wichtig für die Zellteilung. Schwangere haben einen erhöhten Bedarf, und ein Mangel kann zu Haarausfall führen.
Zink: Der Enzym-Aktivator
Zink ist an über 300 Enzymen beteiligt und wichtig für die Proteinsynthese. Ein Zinkmangel kann zu Haarausfall führen, aber eine Überversorgung ist ebenfalls problematisch und kann andere Mineralien verdrängen.
Selen: Der Antioxidant
Selen schützt die Haarfollikel vor oxidativem Stress. Ein Mangel ist in Deutschland selten, aber bei bestimmten Erkrankungen kann eine Supplementierung sinnvoll sein.
Kollagen und Aminosäuren
Haare bestehen hauptsächlich aus Keratin, einem Protein. Kollagen-Supplemente liefern Aminosäuren, die für die Haarbildung wichtig sind. Besonders Cystein und Methionin sind schwefelhaltige Aminosäuren, die für die Haarstruktur wichtig sind.
Prävention: Wie man Haarausfall vorbeugen kann
Ernährung: Das Fundament gesunder Haare
Eine ausgewogene Ernährung ist die Basis für gesunde Haare. Proteine sind besonders wichtig, da Haare hauptsächlich aus Eiweiß bestehen. Gute Quellen sind mageres Fleisch, Fisch, Eier, Hülsenfrüchte und Nüsse.
Omega-3-Fettsäuren aus Fisch, Leinsamen oder Walnüssen können Entzündungen reduzieren und die Haargesundheit fördern. Antioxidantien aus buntem Obst und Gemüse schützen die Haarfollikel vor freien Radikalen.
Stress-Management: Den Cortisol-Spiegel im Griff behalten
Chronischer Stress erhöht den Cortisol-Spiegel, ein Hormon, das die Haarfollikel in die Ruhephase schicken kann. Stressreduktion durch Meditation, Sport oder Hobbys kann daher indirekt dem Haarausfall vorbeugen.
Sanfte Haarpflege: Die Kopfhaut schonen
Aggressives Bürsten, zu heißes Föhnen oder häufiges Färben kann die Haare schädigen. Verwenden Sie einen grobzinkigen Kamm bei nassem Haar und lassen Sie die Haare möglichst an der Luft trocknen.
Sulfatfreie Shampoos sind schonender zur Kopfhaut. Massagen der Kopfhaut können die Durchblutung fördern, sollten aber sanft erfolgen.
Hormonelle Balance: Besonders wichtig für Frauen
Hormonelle Schwankungen können Haarausfall verursachen. Eine ausgewogene Ernährung, regelmäßiger Schlaf und Stressreduktion können helfen, die Hormone im Gleichgewicht zu halten.
Sonnenschutz für die Kopfhaut
UV-Strahlung kann die Kopfhaut schädigen und Haarausfall fördern. Tragen Sie einen Hut oder verwenden Sie Sonnenschutz speziell für die Kopfhaut.
Wann sollte man einen Arzt aufsuchen?
Suchen Sie einen Dermatologen oder Trichologen (Haarspezialisten) auf, wenn:
- Sie plötzlich viele Haare verlieren
- Kreisrunde kahle Stellen entstehen
- Die Kopfhaut juckt, schuppt oder sich entzündet
- Der Haarausfall mit anderen Symptomen einhergeht
- Sie sich große Sorgen machen
Fazit: Haarausfall ist behandelbar
Haarausfall ist ein komplexes Thema mit vielen verschiedenen Ursachen. Die gute Nachricht ist, dass es heute viele effektive Behandlungsmöglichkeiten gibt. Der Schlüssel liegt in der frühen Diagnose und einer individuell angepassten Therapie.
Denken Sie daran: Haarausfall ist ein natürlicher Prozess, der jeden Menschen betrifft. Moderne Medizin bietet viele Möglichkeiten, diesen Prozess zu verlangsamen oder zu stoppen. Bei rechtzeitiger Behandlung können oft gute Ergebnisse erzielt werden.
Die Kombination aus medikamentöser Behandlung, gesunder Ernährung, Stressmanagement und sanfter Haarpflege bietet die besten Aussichten auf langfristig gesunde Haare. Lassen Sie sich von einem Spezialisten beraten, um die für Sie beste Behandlungsstrategie zu finden.