Borretschöl, auch bekannt als Borago-Officinalis-Öl, gewinnt in der modernen Dermatologie zunehmend an Bedeutung als natürliche Therapieoption für verschiedene Hautkrankheiten. Das aus den Samen der Borretschpflanze (Borago officinalis) gewonnene Öl ist besonders reich an Gamma-Linolensäure (GLA), einer essentiellen Omega-6-Fettsäure, die entscheidende Rollen bei der Hautgesundheit spielt.
Die biochemischen Grundlagen: Was macht Borretschöl so besonders?
Gamma-Linolensäure: Der Schlüsselwirkstoff
Borretschöl enthält außergewöhnlich hohe Konzentrationen von Gamma-Linolensäure (GLA), typischerweise zwischen 20 und 24 Prozent des gesamten Fettsäureprofils. Um dies in Perspektive zu setzen: Nachtkerzenöl, ein anderes oft verwendetes Öl für Hautprobleme, enthält nur etwa 8-10% GLA. Diese hohe Konzentration macht Borretschöl zu einer der reichsten natürlichen Quellen dieser wichtigen Fettsäure.
Was ist Gamma-Linolensäure? GLA ist eine mehrfach ungesättigte Fettsäure aus der Omega-6-Familie. Sie fungiert als Vorstufe für wichtige Signalmoleküle namens Prostaglandine und Leukotriene, die Entzündungsprozesse und die Hautbarrierefunktion regulieren.
Der Wirkmechanismus auf molekularer Ebene
Die therapeutische Wirkung von Borretschöl basiert auf mehreren komplexen biochemischen Prozessen:
Hautbarriere-Reparatur: GLA wird in der Haut zu Dihomo-Gamma-Linolensäure (DGLA) umgewandelt, welche wiederum zu Prostaglandin E1 metabolisiert wird. Dieses Molekül hat stark entzündungshemmende Eigenschaften und hilft bei der Wiederherstellung der Hautbarrierefunktion.
Regulation der Ceramid-Synthese: Ceramide sind fettähnliche Moleküle (Lipide), die wie ein “Mörtel” zwischen den Hautzellen wirken und die Hautbarriere versiegeln. GLA unterstützt die Produktion dieser essentiellen Lipide und verbessert dadurch die Wasser-Rückhaltung der Haut.
Wissenschaftliche Evidenz: Was zeigen die Studien?
Verbesserung der Hautbarriere-Funktion
Eine wegweisende Studie von Kawamura et al., veröffentlicht im Journal of Oleo Science, untersuchte die Auswirkungen von GLA-Supplementierung bei Personen mit trockener Haut und leichter atopischer Dermatitis. Die Forscher fanden heraus, dass Gamma-Linolensäure effektiv den transepidermalen Wasserverlust (TEWL) und die epidermale Hyperproliferation behandelt (PubMed-Studie).
Transepidermaler Wasserverlust (TEWL) ist ein Fachbegriff, der beschreibt, wie viel Wasser durch die Haut verdunstet. Ein hoher TEWL-Wert zeigt eine gestörte Hautbarriere an, während niedrigere Werte auf eine gesunde, intakte Hautbarriere hinweisen.
Eine weitere bedeutende Studie, publiziert in ScienceDirect, zeigte beeindruckende Ergebnisse bei älteren Menschen: Nach 8 Wochen Borretschöl-Einnahme wurde eine Reduktion des transepidermalen Wasserverlusts beobachtet, was auf eine verbesserte kutane Barrierefunktion hindeutet. Zusätzlich berichteten die Probanden über eine Verbesserung des Juckreizes (ScienceDirect-Studie).
Atopische Dermatitis (Neurodermitis): Gemischte Ergebnisse
Die Forschung zu Borretschöl bei atopischer Dermatitis zeigt ein differenziertes Bild. Eine Übersichtsarbeit identifizierte 12 klinische Studien zur oralen oder topischen Anwendung von Borretschöl bei der Behandlung atopischer Dermatitis (PubMed-Review).
Eine große multizentrische Doppelblindstudie, veröffentlicht im British Journal of Dermatology, kam jedoch zu einem zurückhaltenden Ergebnis: Diese Studie zeigt keine generelle Wirksamkeit von GLA-haltigem Borretschöl bei atopischer Dermatitis, wobei der Steroid-Verbrauch der primäre Antwortparameter war, obwohl sie andeutet, dass eine Untergruppe von Patienten von dieser gut verträglichen Behandlung profitieren könnte (Oxford Academic).
Diese scheinbar widersprüchlichen Ergebnisse lassen sich dadurch erklären, dass verschiedene Studien unterschiedliche Dosierungen, Behandlungsdauern und Patientengruppen verwendeten.
Innovative Forschung bei Rosazea
Besonders interessant ist eine neuere Studie zu Rosazea, einer chronischen Hautentzündung, die hauptsächlich das Gesicht betrifft. Forscher untersuchten die Hypothese, dass systemische Gabe von Gamma-Linolensäure die Anzeichen und Symptome von Rosazea durch Wiederherstellung der Hautbarrierefunktion verbessern kann (Annals of Dermatology).
Praktische Anwendung und Dosierung
Anwendungsformen
Borretschöl kann sowohl oral als Nahrungsergänzungsmittel oral eingenommen werden als auch topisch direkt auf die Haut angewendet werden. Beide Anwendungswege haben ihre spezifischen Vorteile:
Orale Einnahme: Wirkt systemisch und beeinflusst die Fettsäurezusammensetzung der gesamten Haut. Typische Dosierungen in Studien lagen zwischen 1-3 Gramm täglich.
Topische Anwendung: Ermöglicht eine direkte, lokale Behandlung problematischer Hautbereiche ohne systemische Auswirkungen.
Biomarker für Therapieerfolg
Eine faszinierende Entdeckung der Forschung ist, dass die klinische Krankheitsaktivität unter EPO-Behandlung mit dem individuellen Anstieg der Plasma-GLA-Spiegel korreliert. Die Ergebnisse dieser Pilotstudie deuten darauf hin, dass ein Anstieg des Plasma-GLA als prädiktiver Parameter für die Ansprechbarkeit der atopischen Dermatitis auf EPO-Therapie verwendet werden könnte (PMC-Studie).
Dies bedeutet, dass Ärzte in Zukunft möglicherweise Bluttests verwenden können, um vorherzusagen, welche Patienten am besten auf eine GLA-Therapie ansprechen werden.
Wirkmechanismen im Detail
Entzündungshemmende Eigenschaften
Die entzündungshemmende Wirkung von Borretschöl ist multifaktoriell. In 11 klinischen Studien mit fast 600 Menschen mit Ekzemen stellte orales GLA eine gesunde Fettsäurezusammensetzung in der Haut wieder her und reduzierte Entzündungen, Juckreiz, Trockenheit und Reibungsschäden. Es verhinderte auch die Dehydrierung der Haut und half dabei, die Integrität und Stärke der Hautbarriere zu erhalten.
Molekulare Zielstrukturen
Delta-6-Desaturase-Enzym: Menschen mit bestimmten Hauterkrankungen weisen oft eine reduzierte Aktivität dieses Enzyms auf, das für die Umwandlung von Linolsäure zu GLA notwendig ist. Obwohl gezeigt wurde, dass Gamma-Linolensäure Defizite in Hautlipiden korrigiert, die mit reduzierter Delta-6-Desaturase-Aktivität assoziiert sind, was zu einer Verbesserung der Dysregulation von Entzündung und Immunität bei atopischer Dermatitis führen sollte (PubMed).
Sicherheit und Verträglichkeit
Die Forschung zeigt durchweg eine gute Verträglichkeit von Borretschöl. Die meisten Studien berichten über minimale Nebenwirkungen, hauptsächlich leichte gastrointestinale Beschwerden bei oraler Einnahme in höheren Dosierungen.
Zukunftsperspektiven und klinische Bedeutung
Die aktuelle Forschungslage zeigt, dass Borretschöl ein vielversprechendes therapeutisches Mittel für verschiedene Hautkrankheiten darstellt, insbesondere für Zustände, die mit einer gestörten Hautbarriere-Funktion zusammenhängen. Die essentielle Fettsäure Gamma-Linolensäure aus Borretsch und anderen Ölen hat sich als einer der effektivsten Wirkstoffe für die Behandlung von Hautkrankheiten und für die Aufrechterhaltung gesunder Haut erwiesen (Bioriginal).
Die Evidenz deutet darauf hin, dass nicht alle Patienten gleich gut auf eine GLA-Therapie ansprechen, was die Bedeutung personalisierter Behandlungsansätze unterstreicht. Zukünftige Forschung sollte sich darauf konzentrieren, Biomarker zu identifizieren, die eine Vorhersage des Therapieerfolgs ermöglichen.
Fazit
Borretschöl stellt eine wissenschaftlich fundierte, natürliche Therapieoption für verschiedene Hautkrankheiten dar, insbesondere für Zustände mit gestörter Hautbarriere-Funktion. Während die Evidenz für bestimmte Anwendungen wie die Verbesserung der TEWL-Werte und die Behandlung trockener Haut stark ist, zeigen die Ergebnisse bei entzündlichen Hauterkrankungen wie atopischer Dermatitis ein gemischtes Bild. Die hohe Verträglichkeit und das günstige Sicherheitsprofil machen Borretschöl zu einer attraktiven Ergänzung oder Alternative zu konventionellen Behandlungsoptionen.
Die Forschung befindet sich in einer spannenden Phase, in der die Individualisierung der Therapie basierend auf biochemischen Markern möglich werden könnte, was die Effektivität dieser natürlichen Behandlungsoption weiter verbessern würde.